Warum Sie Ihren Kunden das Leben ein wenig schwerer machen sollten

Warum Sie Ihren Kunden das Leben ein wenig schwerer machen sollten

Ist Ihnen in letzter Zeit beim Lesen der vielen Blogposts, Studien und Szenarien zur Zukunft der Customer Experience auch etwas aufgefallen? In ihnen geht es nur noch darum, wie man den Kunden über alle Touchpoints hinweg ein müheloses Einkaufserlebnis vermitteln kann. Dabei scheint man sich primär an der User Experience des E-Commerce zu orientieren, wo Einfachheit, Schnelligkeit und Bequemlichkeiten eine zentrale Rolle spielen. Wer es hier seinen Kunden schwer macht, stirbt. 

Der Ansatz, es den Kunden das Einkaufen so leicht wie möglich zu machen, könnte sich als fatal erweisen.

Doch in der realen Welt könnte sich dieser Ansatz als höchst fatal erweisen. Das Eliminieren jeglicher Form von Mühe und Anstrengung führt zu einer Customer Experience, die von Kunden nicht erinnert werden kann. Sampson Lee, Präsident von Global CEM – The World’s 1st CX Certification, weist darauf hin, dass sich das negativ auf die Customer Satisfaction und die Loyalität der Kunden auswirkt.1 Es ist Zeit also für einen Paradigmenwechsel.

UNGEWOLLT ALLES RICHTIG GEMACHT

Als der Miau-O-Mat, eine sprachgesteuerte „sampling machine“, die wir für die Katzenfuttermarke FELIX entwickelten, zum ersten Mal zum Einsatz kam, war ich – zumindest in den ersten Minuten – kurz vorm Hyperventilieren. Geplant war, dass er für jedes hineingesprochene „Miau“ eine Produktprobe freigeben sollte, aber das tat er nicht. Uns war nicht bewusst gewesen, dass Katzenbesitzer nicht einfach „Miau“ sagen, sondern die Laute ihrer Katze imitieren. Damit war der Automat jedoch überfordert. 

Durch das ungewollte Handicap hatten wir die Voraussetzung für ein begeisternden Erlebnis geschaffen.

Das unerwartete Handicap stellte sich aber schon bald als Schlüssel zum Erfolg heraus. Nicht wenige Katzenfreunde versuchten es vier-, fünfmal, bis sie dem Automaten endlich eine Produktprobe entlocken konnten. Danach waren sie stolz wie Oskar. Meine Atemfrequenz beruhigte sich wieder. 

Wir hatten ungewollt die Voraussetzung für ein begeisternden Erlebnis geschaffen, das die Kunden in Erinnerung behalten und positiv mit der Marke verbinden würden. Indem der Miau-O-Mat es den Katzenfreunden nicht leicht machte, konnten sie am Ende einen Sieg über ihn feiern – in Form eines Produkt-Samples.

HÖHEPUNKT GUT, ENDE GUT, ALLES GUT

Das entspricht der von Nobelpreisträger und Verhaltensökonom Daniel Kahneman beschriebenen „peak-end rule“. Danach wird die Erinnerung an eine x-beliebige Erfahrung durch zwei Momente beeinflusst: zum einen, wie wir uns auf dem Höhepunkt fühlen – egal, ob gut oder schlecht. Und zum anderen, wie das Erlebnis endet. Sie beeinflussen unseren Blick auf das Erlebnis und prägen die Erinnerung daran. Kleine Unannehmlichkeiten und die Dauer des Erlebnisses fallen dabei unter den Tisch.

Solche kognitiven Verzerrungen sind tief in unserem Gehirn verwurzelt. Sie entstehen, wenn sich unser Denken im „Schnell“-Modus befindet.2  Eine Konsequenz daraus ist, dass man negativen Ereignissen in einer Verbraucherinteraktion gezielt dadurch entgegenwirken kann, dass man das Erlebnis zu einem positiven Höhepunkt und Ende führt. Oder wie es Scott Stratten und Alison Kramer formulieren: „As long as you can out-awesome mistakes and resolve issues, customers will have a positive brand experience.“3 

MACHEN SIE ES DEN KUNDEN NICHT ZU LEICHT

Sampson Lee geht mit der von ihm entwickelten „Pain is Good Strategy“ noch einen Schritt weiter. Für ihn ist der Schmerz im Sinne von Mühe, sofern er im Verlauf des Erlebnisses positiv aufgelöst wird, die entscheidende Zutat für eine erinnerungswerte Customer Experience.4 Er erläutert das am Beispiel von IKEA. 

Studien zufolge gehören der erzwungene Rundgang, der Mangel an Service-Mitarbeitern vor Ort und die lange Wartezeit an den Kassen zu den drei größten „pain points“, über die IKEA Kunden weltweit klagen. Trotzdem ist das Unternehmen auf der ganzen Welt supererfolgreich. Wieso? 

Die IKEA-Kunden scheinen sich bewusst sein, dass sie diese Mühen erleiden müssen, damit IKEA sein Markenversprechen einhalten kann: qualitativ hochwertige Möbel zu günstigen Preisen zu bieten. Das spiegelt sich in den „pleasure peaks“ wider. Dazu gehören der Preis, die Produkte, die Produktpräsentation, das Ausprobieren und auch das Restaurant.

MACHEN SIE ES WIE DIE GROßEN MARKEN

Das Beispiel IKEA zeigt, wie „good pains“ zu „branded pleasures“ werden. Dadurch, dass die Shopper Experience mit Mühen verbunden ist, die das Markenversprechen unterstützen, wird sie von den Kunden in ihrer Erinnerung positiv mit der Marke verknüpft.

Es sind vor allem die großen Marken, die diese Strategie perfekt spielen. So bereitet Louis Vuitton seinen Kunden immer wieder Mühe, um in das Vergnügen von exklusiven Angeboten zu kommen. Für die Autumn-Winter 2017 Men’s Collection entwickelte das Luxus-Label gemeinsam mit der New Yorker Skatermarke Supreme eine Edition von Lederwaren, Mode, Accessoires und Schmuck. Kaufen konnte man sie nur in ausgewählten Pop-up-Stores in Paris, Los Angeles, Miami, Bejing, Tokyo und Seoul. Die Kombination aus Limited Edition und „Only Here“ verlangt vom Kunden ein gewisses Maß an Aufwand. aber sie verschafft ihm auch ein hohes Maß an Statusfaction. 

„Pain is good“ kann selbst die Schnäppchenjagd in ein erinnerungswertes und markenrelevantes Dealight Erlebnis verwandeln, das weit über das schnöde Einlösen von ausgeschnittenen oder digitalen Coupons hinausgeht. Die Kunden von Ozmosis, Australiens führendem Urban Surf Retailer, konnten im Herbst 2017 sogar im buchstäblichen Sinne mit Schmerzen bezahlen. Wenn sie ihre Surfer- und Skaterverletzungen im Laden vorzeigten oder auf Facebook bzw. Instagram unter dem Hashtag #PayWithPain posteten, bekamen sie 20 AUD Rabatt auf den Verkaufspreis. Ozmosis riet seinen Kunden jedoch ausdrücklich davon ab, sich bewusst zu verletzen, um den Rabatt zu erhalten.

AUF DIE KRITISCHEN MOMENTE KOMMT ES AN

Wenn Sie verhindern wollen, dass Ihre Marke auf den Ramschtischen des Handels gelangt, sollten Sie Ihren Shoppern Erlebnisse vermitteln, die in Erinnerung bleiben. Das kann Ihnen natürlich nicht über alle Touchpoints der gesamten Customer Experience hinweg gelingen. Wahrscheinlich fehlen Ihrem Unternehmen dazu allein schon die notwendigen Ressourcen. Anderseits ist das auch gar nicht notwendig. 

Konzentrieren Sie sich auf die kritischen Momente. Den Rest können Sie vernachlässigen.

Die große Mehrheit der Interaktionen, die Ihre Kunden mit Ihrer Marke eingehen, fallen in die Kategorie der nicht-kritischen Momente, z. B. wenn sie auf Ihrer Marken-Webseite schnell noch etwas zu Ihren Produkten recherchieren oder sich über die Öffnungszeiten Ihres Geschäfts informieren wollen. In diesen Momenten sind Ihre Kunden bereits mit einen relativ niedrigen Service-Level zufrieden. Ein Mehr an Aufwand Ihrerseits wäre nur eine Verschwendung von Ressourcen. Diese Interaktionen können Sie also beruhigt vernachlässigen. 

Konzentrieren Sie sich stattdessen auf die kritischen Momente, in denen es sich entscheidet, ob Sie Ihre Kunden mit einer erinnerungswerten Erfahrung an Ihre Marke binden und sie dazu bringen können, Ihre Produkte zu kaufen. Mit Hilfe einer Touchpoint Map können Sie die dazugehörigen relevanten Touchpoints identifizieren, analysieren und bewerten. Nutzen Sie aktuelle und aufkommende Shopper Trends als Quelle der Inspiration, um diese „moments of truth“ in ein Erlebnis zu verwandeln, die Ihren Kunden in Erinnerung bleibt.

BITTE BEACHTEN SIE ABER FOLGENDES

Das bisher Gesagte gilt selbstverständlich nicht, wenn Einfachheit, Schnelligkeit und Bequemlichkeit Ihre Markenversprechen sind. Dann sollten Sie es Ihren Kunden auf gar keinen Fall schwerer als nötig machen, mit Ihnen ins Geschäft zu kommen.

 


 

Quellennachweise:

1 Sampson Lee: Why brands must stop trying to eliminate customer effort, auf: MyCustomer.com, 31. März 2017.
2 Daniel Kahneman: Thinking, Fast and Slow, 2011.
3 Scott Stratten / Alison Kramer: The Book of Business Awesome / The Book of Business UnAwesome, 2012.
4 Sampson Lee: Why brands must stop trying to eliminate customer effort, auf: MyCustomer.com, 31. März 2017.

Wolf Thiem