Warum wir noch immer auf das nächste große Ding warten

Warum wir noch immer auf das nächste große Ding warten

Euphorie kann ansteckend sein. Dagegen sind auch Trendforscher nicht immun. Auch ich ließ mich z. B. von der medialen Begeisterung mitreißen, die Google Glass als „the next big thing“ feierte. Doch bereits acht Monate nach dem Product Release stellte Google den Verkauf ein.

Seit Steve Jobs das iPhone 2007 vorstellte und damit den Siegeszug des Smartphones einläutete, warten wir vergeblich auf das nächste große Ding. Dabei riefen die Experten weltweit schon vor Jahren das goldene digitale Zeitalter aus – im Glauben, dass die nächste digitale Revolution, die unser Alltagsleben umkrempelt, bereits hinter der nächsten Ecke auf uns wartet.

Das von den Experten bereits vor Jahren ausgerufene goldene digitale Zeitalter lässt immer noch auf sich warten.

Doch die jahrelange Euphorie weicht langsam der Ernüchterung. Dabei herrscht Einigkeit darüber, was die nächsten wichtigen digitalen Technologien sind: Augmented und Virtual Reality, Internet of Things und Artificial Intelligence.¹ Sie sind ebenso folgerichtig wie folgenreich – auch für die Shopper Experience. Aber sie sind auch komplex und kostenintensiv. Ihre Skalierung erfordert viel Kapital. Davon profitieren vor allem die Tech-Giganten wie Alphabet, Amazon, Apple, Facebook und Microsoft sowie ihre chinesischen Counterparts Tencent, Alibaba und Baidu.

Augmented Reality (AR): Seit nahezu jeder Tech-Konzern an einer eigenen AR-Plattform arbeitet, gewinnt das Thema enorm an Fahrt. Erste AR-Applikationen von Megabrands wie Nike, IKEA und L’Oreal zeigen, welches Potenzial es für die Shopper Experience besitzt. Trotzdem liegt AR weit hinter den Erwartungen zurück – nicht zuletzt aufgrund komplexer Hard- und Software-Herausforderungen. Allein das Innovation-Team von IKEA, das die AR-App „Place“ für ARkit von Apple entwickelte, umfasste 150 Personen.²

Virtual Reality (VR): Aus Sicht des Marketings vermittelt VR eine viel stärkere Identifikation mit der Marke, als es herkömmliche Medien erreichen. Doch erste kritische Stimmen warnen vor allzu überzogenen Erwartungen. Die Technologie sei noch weit von der Marktreife entfernt. Zudem muss das Marketing noch lernen, wie sie Kunden, die in einem künstlichem 3D-Environment selbstständig agieren, mit den Botschaften ihrer Marke verbinden, ohne ihr virtuelles Erlebnis zu unterbrechen.³

Internet of Things (IoT): Durch seine hohe alltagspraktische Relevanz eröffnet das IoT auch Shoppern neue Freiheiten, die ein Mehr an Zeitersparnis, Flexibilität und Komfort bedeuten. Doch das von Trendoptimisten proklamierte Zeitalter des „Connected Home“, in dem smarte Hausobjekte proaktiv agieren, ist nicht in Sicht. Bislang wurstelt fast jedes IoT-Gerät allein vor sich hin. Es fehlen gemeinsame Standards. Zudem sind Prototyping, Markteinführung und Skalierung extrem teuer.

Artificial Intelligence (AI): Künftig wird sich die Shopper Experience durch KI-gestützte Anwendungen viel zielgerichteter gestalten lassen. Doch wenn die Datenbasis nicht stimmt, kann der Einsatz einer AI auch am Ziel vorbeiführen. Das lernten Google und Microsoft, als ihre AIs negative Vorurteile gegen Minderheiten verstärkten. Zudem werden Berge an qualifizierten Daten benötigt. Doch die Macht über die Daten liegt nahezu vollständig in den Händen der Tech-Giganten.

Auf das nächste große Ding werden wir also noch ein wenig warten müssen. Was es letztendlich sein wird, wenn alle Hürden gemeistert sind, darüber wird auch der Konsument mit entscheiden. Das zeigte die Einführung des iPhones, das von der Fachwelt belächelt, aber von den Kunden begeistert aufgenommen wurde.

 


 

Quellennachweise:

¹ Jon Evans: After the end of the startup era, auf: TechCrunch.com, 22.10.2017.
² Mark Sullivan: If There’s A Killer App For Apple’s AR Tech, It Won’t Be Ikea Shopping, auf: FastCompany.com, 19.06.2017.
³ YuMe, Groundbreaking Virtual Reality Research Showcases Strong Emotional Engagement for Brands, According to YuMe and Nielsen, auf: BusinessWire.com, 09.11.2016.

Wolf Thiem